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Til Stegmann: Diskurs „Die Toleranz“

Tilbert Dídac STEGMANN
Goethe Universität Frankfurt am Main

Was heißt Toleranz?

Toleranz ist eine Haltung, die uns eine Anstrengung abfordert, weil wir sie nicht automatisch und unmittelbar guten Willens ausüben, sondern erst nach einem Apell an uns selbst. Das was ich toleriere ist etwas, das ich nicht teile und das mir persönlich nicht behagt. Aber ich sehe, dass ich diese andere Überzeugung oder Praxis akzeptieren muss, weil sie sich innerhalb eines allgemeinen ethischen Rahmens hält, den die Gesellschaft teilt. Wenn Toleranz nicht diese Anstrengung kosten würde, sprächen wir einfach von gleichgültigem Gewährenlassen, aber nicht von Toleranz. Der Frankfurter Philosoph Rainer Forst unterscheidet vier Konzepte von Toleranz, die Wolfgang Thierse, Expräsident des Deutschen Bundestages, so darstellt:

„1. Toleranz als Erlaubnis ist eine von oben oder von der Mehrheit großzügig gewährte Duldung.
2. Toleranz als Koexistenz ist ein aus pragmatischen Gründen, um des lieben Friedens willen eingegangenes Verhältnis von ungefähr gleich starken Gruppen und dient der Konfliktvermeidung.
3. Toleranz als Respekt ist eine Beziehung zwischen Gleichberechtigten bei wechselseitiger Anerkennung unterschiedlicher Überzeugungen und kultureller Praktiken.
4. Toleranz als Wertschätzung ist eine Beziehung zwischen Gleichberechtigten, die die Andersartigkeit des anderen positiv bewertet, ohne selbst anders werden zu wollen.“

Auf Spanien angewandt: Spaniens Haltung gegenüber Katalonien geht nicht von einer Gleichberechtigung aus.

[Die demographische spanische Mehrheit ist in der Realität und in der Verfassung unverrückbar festgelegt und macht die Katalanen zu einer ewigen Minderheit.]

Eine Wertschätzung der Minderheit ist für die spanische Seite nicht opportun, da die katalanische Andersartigkeit negativ bewertet und als unmittelbare Gefahr für die als sakrosankt empfundene Einheit Spaniens angesehen wird.

Baden-Württembergs Eigenheiten gefährden in den Augen der Deutschen nicht die Einheit Deutschlands, aber für einen Spanier ist die katalanische Andersartigkeit eine unmittelbare Gefahr.

Ein Respekt gegenüber den Leistungen der Katalanen mag im kollektiven spanischen Unterbewußten eingegraben, ja vielleicht sogar eine starke treibende Kraft sein, aber jeder Spanier würde als Verräter an der Sache Spaniens gebrandmarkt werden, der seinen Respekt für Katalonien mit einer Anerkennung von Gleichberechtigung verbände.

Eine Toleranz der Koexistenz um des lieben Friedens willen – wie von Thierse im 2. Punkt formuliert – ist nach dem Ende der Francodiktatur versucht worden, weil Katalonien sich aus der Erfahrung von fast 40 Jahren repressivster Diktatur mit einer Zementierung seiner Schwäche zufrieden gab, um eine erneute militärische Machtergreifung zu vermeiden. Manche Katalanen halten dieses Mitmachen um des lieben Friedens willen für den Radikalfehler in der jüngsten Geschichte. Katalonien war auch noch bei der demokratischen Wende der Verlierer des Bürgerkriegs. Katalonien trug einen übergroßen Anteil zur Konfliktvermeidung einem Spanien gegenüber bei, das das Problem eines Spanien der vielen Völker ehrlich lösen zu wollen schien. Die von der spanischen Mehrheit mehr oder weniger großzügig gewährte Duldung zeigte aber bald ihren reinen Erlaubnis charakter, den Thierse und Forst unter Punkt 1. aufführen. Eine Erlaubnis kann man nämlich jederzeit widerrufen. Die Majorisierungsmechanismen wurden bald wieder weidlich genutzt. Die von vielen Spaniern als voreilig empfundene Föderalisierung nach dem Subsidiaritätsprinzip, wurde durch die immer zur Verfügung stehende spanische Mehrheit angehalten und in den letzten Jahrzehnten immervehementer rückgängig gemacht.

Rainer Forst sagt : „ Die Toleranz ist eine hohe Kunst, setzt sie doch voraus, dasjenige zu dulden, mit dem man nicht übereinstimmt. ” Dieser Toleranzaspekt ist in Spanien, jedenfalls wenn es um Katalonien geht, nicht entwickelt, ja man möchte fast sagen, mit dem Spaniersein unvereinbar. Das Kernelement der spanischen Inquisition, die Intoleranz, ist seit den Katholischen Königen offenbar nicht mehr eliminierbar. Dabei steht das von den Dominikanern etablierte Intoleranzprinzip gerade heute gegen die franziskanischen Prinzipien des neuen Papstes.

Wolfgang Thierse schließt sich an Forst an, wenn er sagt: „ Denn die Toleranz ist ein Paradox: Wie soll ich tolerieren, wovon ich selber nicht überzeugt bin? [. . . ] Bei der Toleranz als einer Tugend der praktischen Vernunft geht es um die schwierige Verbindung von eigenem Wahrheitsanspruch mit der Anerkennung des Wahrheitsanspruchs des anderen. [. . . ] Erst wenn Toleranz mehr wird als gnädige Duldung, nämlich Respekt vor dem anderen und seinem Wahrheitsanspruch, erst dann enthält die Toleranz auch ein Ja zur Freiheit des anderen.

Die Katalanen sehen heute offenbar keine Chance mehr, ihre Freiheit im Rahmen eines spanischen Staates zu verwirklichen.

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