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„Respekt“ der Spanier für die katalanische Sprache und die Katalanen

Prof. Dr. Tilbert Dídac Stegmann*

Auf einer Klassenfahrt katalanischer Schüler nach Madrid, um das Pradomuseum zu besuchen: Die Mütter haben ihren Töchtern eingeschärft, dass sie sich zurückhaltend benehmen und aus politischen Diskussionen heraushalten sollen. Insbesondere nichts Katalanisches zur Schau tragen. In der Madrider Metro aber plaudern die Mädchen natürlich in ihrer Muttersprache. Ein älterer Herr ihnen gegenüber herrscht sie an: hier in Spanien hätten Sie gefälligst Spanisch zu sprechen. Ein Mädchen antwortet höflich auf Spanisch, dass sie gerne mit ihm Spanisch reden wolle, aber es sei doch unter Freundinnen etwas ungewohnt, nun plötzlich nicht mehr Katalanisch zu sprechen.

Antwort des Herrn: wenn er noch jünger wäre, würde er ihr eine Ohrfeige herunterhauen (auf Spanisch wörtlich „romper la cara“ – das Gesicht kaputtschlagen). Darauf erhebt sich ein junger Mann von der anderen Sitzbankreihe und bietet sich drohend an, das mit der Ohrfeige könne er gerne übernehmen. Die Mädchen flüchten sich schleunigst in den entgegengesetzten Teil des Waggons.

Diese Anekdote erzählt der Britte Matthew Tree zu Beginn seines katalanischen Buches Com explicar aquest país als estrangers (Wie erklär ich Ausländern dieses Land). Das interessante an der Anekdote ist, dass die Mütter der Mädchen das spanische Verhalten schon als erwartbar voraussahen und gewissermaßen als normal betrachteten.

Ich kann eine selbsterlebte Anekdote hinzufügen: Wir treten am Fuße des Teide, in Tenerife, an einen langen Holztisch im Freien vor einem Berggasthaus, an dem eine sympathische spanische Familie mit ihrem kleinen Jungen sitzt, und fragen, ob wir uns dazusetzen dürfen, was an dieser Stelle üblich scheint. Wir kommen ins Gespräch und werden gefragt, woher wir so gut Spanisch können. Ich erkläre, dass ich als Kind schon Spanisch gesprochen hätte und in Barcelona geboren sei. Antwort, ohne weiteres größeres Überlegen: „Ah, los enemigos!“ ( = „Aha, die Feinde!“) Das war durchaus nicht unfreundlich gesagt; vielleicht sogar mit einem verlegenen Lächeln. Aber es war völlig ernst gemeint: Katalanen sind unerwünscht in Spanien. Das ist einfach eine feststehende Tatsache. Das hat man als Spanier mit der Muttermilch und in der Schule aufgesaugt; auch wenn man überhaupt erst nach Francos Tod geboren ist. Und das schreibt die Mehrheit der spanischen Zeitungen tagtäglich. Für manche spanische Radiosender gehört es zu den beliebtesten Themen, die für hohe Einschaltquoten sorgen.

Auch Matthew Tree erzählt von einem Freund, der auf einer Hochzeitsfeier in Madrid im Gespräch mit einem anderen Eingeladenen das vollkommen ernst gemeinte Kompliment bekam, für einen Katalanen sei er eigentlich doch erstaunlich sympathisch. (Aber ein einziger sympatischer Katalane macht natürlich noch keinen Frühling.)

Die Schriftstellerin Empar Moliner erzählt, wie sie im Taxi vom Flughafen Madrid in die Stadt fährt und ihr Handy klingelt. Ein katalanischer Freund ist am Apparat, mit dem sie auf Katalanisch redet. Der Taxifahrer dreht sich empört um: „Aquí a España hablamos español!” Frau Moliner stutzt, aber entschließt sich, den Mann mit einer Lüge auf den Arm zu nehmen: “Hallo! Ich spreche doch Italienisch!” Antwort: “Ach so, o.k. No pasa nada!” (= No problem.) Der Herr Taxifahrer entscheidet ohne jegliche Gewissensbisse, was für Sprachen seine Kunden reden dürfen.

Matthew Tree erzählt weiter wie zwei Spanier jüngst im Instituto Cervantes in London die Katalanen als eine “colla de jueus”, eine Horde von Juden, bezeichnete. Franco hatte die Roten, also die Sozialisten und Kommunisten, sowie die Katalanen, die Juden und die Freimaurer als die Erzfeinde Spaniens bezeichnet, aber 34 Jahre nach seinem Ableben hätte man doch gedacht, dass so etwas der Vergangenheit angehört.

Es handelt sich bei diesen Ausfällen gegen alles Katalanische nicht um Einzelfälle, sondern um den allen bekannten Normalzustand. Katalanische Verlage rechnen damit, wenn ihre Autoren ins Spanische übersetzt publiziert werden. Es wird so weit wie möglich vermieden, den Autor als Katalanen zu outen. Mehrfach wurden Autoren bedrängt, auf den Satz “Aus dem Katalanischen übersetzt” auf dem Titelblatt zu verzichten.

Ein Justizbeamter des Sozialgerichts Nr. 2 in Badajoz (südwestlich von Madrid) erlaubt sich, einem Gericht in Barcelona folgende Mail zu schicken:

„Wir sehen, dass Ihre e-Mail in einer sehr merkwürdigen und sonderbaren Sprache verfasst ist, die gänzlich von der abweicht, die die offizielle Sprache unseres vaterländischen Territoriums ist. Wir würde Ihnen danken, wenn Sie uns den Text erneut zusenden könnten, aber dieses Mal korrekt verfasst und ohne Orthographiefehler, in der gemeinsamen Sprache unserer Nation, das heißt auf Spanisch, einer Sprache, in der die besten Werke der Weltliteratur geschrieben wurden und mit der die halbe Welt zivilisiert wurde und die praktisch auf der ganzen Welt gesprochen wird.“ Eine sehr zivilisierte Antwort eines Justizbeamten. Wenn diese Antwort öffentlich gemacht würde, könnte der Beamte sicher sein, dass er aus ganz Spanien Anerkennung für seinen gelungenen Scherz bekommen würde.

Der Pädagogikprofessor an der Universitat Autònoma von Barcelona, Enric Larreula, hat in seinem Buch Dolor de llengua (Sprachweh, oder Zungenweh – durchaus mehr als nur Bauchweh) auf 400 Seiten hunderte von Beispielen gegeben, wie man als Katalanischsprecher in Spanien gedemütigt wird. Er spricht von einer “gegen die katalanische Sprache gerichteten Pathologie, die fanatisch, fremdenfeindlich, pervers und krank” ist (S. 22). Aber nicht nur als Katalanischsprecher werden Katalanen in Spanien gedemütigt, sondern überhaupt als Katalanen. Man ist als Katalane in Spanien immer ein Mensch zweiter Klasse, dem schmackhaft gemacht werden soll, dass er ein Mensch erster Klasse, nämlich Spanier werden soll. Franco ist tot, aber sein Erbe lebt fort und wird offenbar fortleben, solange Katalonien ein Land unter spanischer Herrschaft bleibt.

Für die von Francoministern gegründete „populäre“ Partei des regierenden spanischen Ministerpräsidenten Rajoy ist jedes Schimpfen auf Katalonien und die Katalanen ein sicherer Stimmengewinn. Auch führende Mitglieder der zweitgrößten Partei, der Sozialistischen, gebärden sich zum Teil in unerträglicher Überheblichkeit gegenüber den demokratischen Forderungen der Katalanen. Katalonien erscheint ihnen als eine Frau, die man als spanischer Macho zu dominieren hat.

Äußerungen von exponierten Politikern bewegen sich weit unterhalb eines minimalen mitteleuropäischen Standards. Etwa die Äußerung des Vizepräsidenten des europäischen Parlaments, Vidal Quadras, in einer Europaparlamentssitzung im September 2012, den Katalanen bräuchte man nur die staatliche spanische Polizei, die Guardia Civil zu schicken, dann wäre das Thema Unabhängigkeit sofort erledigt. Man bedenke, dass der spanische Abgeordnete damit auf den Fall des Guardia-Civil-Obersten anspielt, der im Februar 1981 fast die spanische Demokratie mit der Schließung des Parlaments und mit einem Militärpusch beendet hätte. Ausgerechnet im Europäischen Parlament wird mit einer militärischen Auflösung eines Parlaments gedroht. Das demokratische Fingerspitzengefühl von Vidal Quadras ist dürftig. Der Europäische Parlamentspräsident Martin Schulz, guter Kenner Kataloniens und Leser und Bewunderer katalanischer Romanciers, konnte nur die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. Der spanische Politiker Gregorio Peces Barba, der den ersten Entwurf der neuen spanischen Verfassung mit ausgearbeitet hatte, verstieg sich zu dem Scherz, man müsse Barcelona alle 50 Jahre bombardieren, damit die Katalanen ruhig hielten. Als sei er Besitzer der Iberischen Halbinsel sagte er: wir hätten uns lieber die Portugiesen behalten sollen und die Katalanen laufen lassen. Das ist die spanische Herrenmentalität in der Politik. Man kann sich vorstellen, dass für Katalonien das Zusammenleben mit solchen spanischen Politikern eine Qual ist.

Spanien und den spanischen Politikern der rechten, oft noch franconostalgischen Seite, fehlt, wie der Philophieprofessor der Universität Girona Josep Maria Terricabras sagt, die politische Kultur, die das Existieren und Respektieren von anderen eigenständigen Kulturen in Spanien als Kennzeichen von Demokratie einordnet. Anders sein und denken wird weiterhin als eine Attacke gegen die spanische Einheit empfunden. Der Umschwung zu einer demokratischen Kultur der Toleranz hat nicht stattgefunden.

*Prof. Dr. Tilbert Stegmann, deutscher Professor für Romanische Philologie an der Goethe-Universität Frankfurt am Main und Gründer der  Biblioteca Catalana, der Katalanischen Bibliothek, in Frankfurt.

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