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Unsere europäischen Partner

Von Xavier Sala Martín, 16.09.2014

 

Ich bin immer der Meinung gewesen, dass man einen Menschen erst dann wirklich kennt, wenn man erlebt hat, wie er mit schwierigen Situationen umgeht. Zum Beispiel ist die Art und Weise wie ein Ehemann reagiert wenn seine Frau ihm mitteilt dass sie sich scheiden lassen will, sehr aufschlussreich. Manche Männer sind dazu bereit, ihre Fehler anzuerkennen und werden alles versuchen um diese wiedergutzumachen. Manchmal kann eine Krise allein durch die Einsicht des Partners überwunden werden. Andere Ehemänner reagieren wütend, werden gewalttätig und äußern ihren Ärger indem sie ihre Partnerin verspotten, beschimpfen oder bedrohen. In solch einer Situation erkennt die Frau das wahre Gesicht ihres Partners, und im Zweifelsfall ist der Wunsch, ihn zu verlassen dann umso größer.

An das Beispiel des Ehepaars kurz vor der Trennung musste ich denken als ich las, wie einige selbsternannte spanische Experten auf die enorme Kraftanstrengung der katalanischen Bürger zur Einforderung ihres Rechts auf Demokratie am 11. September in Barcelona reagierten. Die überwiegende Mehrheit, so scheint es, tappt völlig im Dunkeln und kann nicht so recht verstehen, was da eigentlich geschehen ist.

Manche dieser „Experten“ glauben doch tatsächlich, die katalanische Unabhängigkeitsbewegung sei nur ein vorübergehender, durch die Wirtschaftskrise verursachter Rauschzustand, der wie ein Soufflee in sich zusammenfallen werde, sobald sich die allgemeine Wirtschaftslage erhole. Was diese Analysten übersehen ist, dass diese bei weitem nicht Spaniens erste Krise ist, und dass keine der vorherigen Krisen den Wunsch nach Unabhängigkeit von Spanien so bestärkt hat wie diesmal. Die Wirtschaftskrise allein kann also nicht die Erklärung sein.

Andere “Gurus” sind davon überzeugt, der Drang nach Souveränität sei das Ergebnis jahrelanger Stimmungsmache für ein eigenständiges Katalonien in den Schulen und im öffentlichen katalanischen Fernsehen, TV3. Diese Erklärung übersieht aber glatt, dass weniger als ein Drittel der katalanischen Bürger vom katalanischen Fernsehsender erreicht werden, und dass das Bedürfnis nach Unabhängigkeit von Jung und Alt gleichermaßen geäußert wird. Wenn dieser Wunsch aber generationenübergreifend zu finden ist, wie können dann die heutigen katalanische Schulen die Schuldigen sein, die von Menschen in meinem Alter gar nicht besucht wurden?

Eine dritte Gruppe von „Experten“ hat sich darauf geeinigt, der katalanische Präsident, Artur Mas, sei verrückt geworden und treibe seine Mitbürger durch das Aufbegehren zum Wahnsinn. Der Haken an dieser Erklärung ist dass der Tsunami schon zwei Jahre in Bewegung war, bevor sich Artur Mas im September 2012 ganz oben auf der Welle fand. Die klare Positionierung des Präsidenten für das Referendum über die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien war also die Folge, keineswegs der Grund für zunehmenden Druck durch die katalanische Bevölkerung.

Wenn aber weder die Wirtschaftskrise, noch die Indoktrination durch Schulen und Medien, oder der plötzliche Wahnsinn des katalanischen Präsidenten den immer lauter werdenden Schrei nach Unabhängigkeit erklären können, was dann? Ich vermute es hat mit der Reaktion des Ehemannes zu tun, in dem Moment in dem seine Frau die Scheidung verlangt. Die Art und Weise wie Spanien auf die Aussicht reagiert hat, dass sich Katalonien abspalten könnte, hat uns sein wahrhaftes Wesen verraten. Und was wir gesehen haben, gefällt uns überhaupt nicht!

Das Statut von 2005 war eine erste Warnung für Katalonien, dass die Beziehung mit Spanien zunehmend problematisch wurde. Jedoch hatte damals niemand, nicht einmal die linke Partei, Esquerra Republicana, die Scheidung vorgeschlagen. Alles was wir damals verlangten war die Anerkennung Kataloniens als Nation, dass der spanische Zentralstaat mehr Geld in Katalonien investiere, und die Solidaritätstransfers zwischen den einzelnen Regionen gerechter gestalte (nicht etwa die völlige Abschaffung des Finanzausgleichs). Sonst nichts. Die Reaktion der großen spanischen Parteien und Institutionen zeigte uns dann das wahre Gesicht unseres langjährigen Partners: erst brach der damalige sozialdemokratische Regierungspräsident (José Luis Rodríguez Zapatero) sein Versprechen, das Statut zu verabschieden; dann sorgte die spanische Volkspartei (PP) vor dem stark politisierten Verfassungsgericht dafür, dass das Statut bis zur Unkenntlichkeit zusammengestrichen und verändert wurde. Vielen Katalanen hat diese Demütigung tief getroffen und zur Überzeugung gebracht, dass sie sich auf Spanien als respektvollen Partner nicht mehr verlassen können.

Spanien reagierte auf diese Veränderungen in der Wahrnehmung der Katalanen mit der Drohung, dass es sein Vetorecht nutzen werde um ein unabhängiges Katalonien „für drei Generationen“ aus der Europäischen Gemeinschaft auszuschließen, dass Katalonien ohne den spanischen Markt ruiniert sei, Menschen ihre Renten und Sozialbezüge nicht erhalten würden und somit Boykotte und Krawall die unweigerliche Folge seien. Je radikaler die Androhungen, desto klarer wurde uns jedoch das wahre Wesen des langjährigen Partners, und was wir da sahen gefiel uns immer weniger.

Inzwischen hat sich die Lage so verschlechtert, dass die letzten Monaten fast einem dantesken Spektakel gleichen. Wir haben sehen müssen, wie der spanische Staat den von allen Bürgern gemeinsam bezahlten Geheimdienst nutzt, um seine eigenen Bürger auszuspionieren, und wie er die gesammelten Informationen gezielt zum Schaden der Unabhängigkeitsbewegung einsetzt. Wir haben erfahren wie das von uns allen bezahlte spanische Innenministerium durch die Polizeibehörden gefälschte Dokumente infiltriert, um Wahlergebnisse zu manipulieren. Das Finanzministerium wiederum verfolgt und bestrafft durch seine Aufsichtsbehörden bevorzugt jene, wie den katalanischen Altpräsidenten Jordi Pujol, die aufgrund ihrer öffentlichen Einstellung Spaniens Interessen im Weg stehen und sich nicht mehr gegen die Unabhängigkeit äußern wollen. Spanische Botschaften machen Propaganda für die einseitige Sichtweise der Zentralregierung und agieren als politische Wächter und Beobachter, und versuchen im Einzelfall mit allen Mitteln, Reden und Buchvorstellungen katalanischer Bürger in den europäischen Nachbarstaaten zu unterbinden. 

Der Höhepunkt des Spektakels war jedoch die Stellungnahme des spanischen Finanzministers, Cristóbal Montoro, welcher diese Aktionen damit rechtfertigte, dass der Staat das Recht habe sich zu verteidigen, was wiederum von der spanischen Öffentlichkeit ohne nennenswerten Protest akzeptiert wurde. Nun, ich finde dieses Vorgehen alles andere als selbstverständlich und weigere mich, solche Praktiken einfach so hinzunehmen. Demokratie, das ist mehr als alle vier Jahre Wahlen zu veranstalten und sich ansonsten auf die bestehende Verfassung zu berufen.

Demokratie bedeutet auch, die Bürger vor Willkür und Menschenrechtsverletzungen durch den Staat zu schützen. Und wenn der spanische Staat seine eigenen Institutionen für parteipolitische Zwecke missbraucht, misshandelt er nicht nur uns, die Bürger, sondern zeigt auch seine wahre Natur: autoritär und undemokratisch. Spaniens Problem ist das nicht nur die Katalanen nun diese Seite zu Gesicht bekommen, sondern der Rest der Welt, einschließlich unsere europäischen Partner.

 

Xavier Sala Martín ist Ökonom und Wirtschaftsprofessor an der Columbia University, USA.

Web: http://salaimartin.com/; Twitter: @XSalaiMartin

Link zur Originalversion des Artikels (katalanisch): http://www.ara.cat/premium/opinio/nostres-socis-europeus_0_1213678636.html

 

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