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Katalonien hat das Recht auf eine Abstimmung

Artur Mas

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.04.2015, Nr. 82, S. 10

In einer Demokratie ist eines nur schwer zu rechtfertigen und daher kaum akzeptabel: den Bürgern eine Abstimmung zu verwehren. In Katalonien möchte die Mehrheit der Bevölkerung schon seit langem über die politische Zukunft ihres Territoriums abstimmen. Die Bürger möchten entscheiden, ob Katalonien Teil Spaniens bleiben soll oder der Moment gekommen ist, ein unabhängiger Staat und eigenständiges Mitglied der Gemeinschaft souveräner Staaten im Rahmen der EU zu werden. Das Streben nach Unabhängigkeit ist dabei keine Erfindung der Katalanen: Seit 2004 sind der EU dreizehn neue Staaten beigetreten, von denen sieben ihre Unabhängigkeit erst nach 1990 erlangten.

Die Bürger Kataloniens haben ihren Wunsch, abstimmen zu wollen, auf eine Art zum Ausdruck gebracht, die mich als Präsident des Landes besonders stolz macht. Sie haben friedlich, mit Gemeinschaftssinn und Einfallsreichtum demonstriert. Im September 2012 gingen in Barcelona 1,5 Millionen Bürger unter dem Motto „Katalonien, der nächste Staat Europas“ auf die Straße. Im darauffolgenden Jahr waren es zwei Millionen Menschen, die eine 400 Kilometer lange Menschenkette bildeten. Und im vergangenen Jahr hat eine ähnlich große Zahl an Bürgern ein riesiges V auf den Straßen der Hauptstadt geformt. Für ein Land mit knapp 7,5 Millionen Einwohnern sind dies beeindruckende Zahlen. In Deutschland würde dies bedeuten, dass mehr als 19 Millionen Menschen auf die Straße gingen.

Die internationale Presse hat dies dokumentiert, und Experten zählen die Demonstration im vergangenen Jahr zu einer der größten der Weltgeschichte. Natürlich könnte man die genaue Höhe der Teilnehmerzahlen in Frage stellen, aber nicht das Ausmaß und die Stärke dieser Bürgerbewegung, die Mitglieder fast aller politischen Parteien vereint. Katalonien erlebt eine Volksbewegung, die trotz aller Unterschiede mit derjenigen vergleichbar ist, die vor 25 Jahren zum Fall der Berliner Mauer führte: Unerschütterlich und hartnäckig glauben die Bürger an ihre Sache. Die Geschichte wird zeigen, ob Katalonien vielleicht gerade dabei ist, neue Wege zur Lösung politischer und territorialer Konflikte zu entwickeln.

Unsere Bürger, von denen Umfragen zufolge 80 Prozent eine Volksbefragung befürworten – darunter auch viele Gegner der Unabhängigkeit -, stehen nicht allein mit ihrer wiederholten Forderung nach dem Recht auf Abstimmung. Im katalanischen Parlament haben 79 Prozent der Abgeordneten ihre Absicht bezeugt, abstimmen zu wollen, genauso wie 97 Prozent aller Bürgermeister Kataloniens und Tausende verschiedene Organisationen. Ein ganzes Land fordert, abstimmen zu dürfen, und die Menschen können nicht nachvollziehen, warum sie daran gehindert werden.

Die einzige Begründung, die der spanische Ministerpräsident Mariano Rajoy und seine Minister wieder und wieder anführen: Eine solche Abstimmung wäre laut spanischer Verfassung nicht zulässig, weil Spanien unteilbar sei. Dieses Argument ist jedoch falsch: Die Unabhängigkeit ist zwar nicht in der Verfassung vorgesehen, aber ein Referendum ist lediglich nur ein vorbereitender Schritt in diese Richtung und würde erst einmal dazu dienen, die Meinung der Bürger einzuholen. Das Problem ist im Grunde nicht juristischer, sondern politischer Natur.

Müssen Bürger einem Gesetz dienen, oder sollte es nicht eher umgekehrt sein? Darf der spanische Staat ein Gesetz von 1978 über die heutige demokratische Legitimität stellen? Erkennt die spanische Regierung nicht, dass sie Spanien nicht zu einem Käfig machen kann? Die vierzig Jahre Diktatur, in denen über nichts abgestimmt und über nichts entschieden werden durfte, liegen lange zurück. Spanien sollte inzwischen mehr demokratische Reife zeigen.

Am 27. September wählen die Katalanen das nächste katalanische Parlament. Zum ersten Mal seit 1980 werden dies besondere Wahlen sein, denn sie werden zweifelsohne einen plebiszitären Charakter haben. Da die spanische Regierung und ihre Gerichte ein gemeinsam vereinbartes Referendum blockieren, wie es in Kanada und Großbritannien mit großer Selbstverständlichkeit und gegenseitigem Respekt durchgeführt wurde, bleibt uns Katalanen nur der Ausweg, die Parlamentswahlen als Instrument zu nutzen, um herauszufinden, ob die Gründung eines katalanischen Staates die notwendige Unterstützung in der Bevölkerung hat.

Die Parteien, die diese Option unterstützen, werden dies explizit in ihren Wahlprogrammen aufführen, so dass der Grad der Unterstützung unmissverständlich ermittelt werden kann. Falls das Ergebnis eindeutig ist, dann hat die neue Regierung ein demokratisches Mandat zu erfüllen. In diesem Fall werden wir den Aufbau der nötigen staatlichen Strukturen abschließen, um einen reibungslosen Übergang zu garantieren, und hoffen, mit der spanischen Regierung und der Europäischen Union über einen Zeitplan sowie die Bedingungen für die Gründung eines neuen europäischen Staates verhandeln zu können. Dann wäre uns eine so einfache und gleichzeitig komplizierte Sache wie die Ausübung der Demokratie gelungen.

Der Autor ist Präsident der Generalitat von Katalonien.

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