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Sprache sucht Staat: Katalanisch – Identität ohne Anerkennung von Daniela Strauß

„Katalanisch? Ist das nicht ein spanischer Dialekt?“ Mit dieser weit verbreiteten Vermutung werde ich regelmäßig konfrontiert. Katalanisch ist jedoch kein Dialekt des Spanischen sondern vielmehr eine eigenständige romanische Sprache und heute neben Spanisch die offizielle Amtssprache in den autonomen spanischen Regionen Katalonien, Valencia (hier unter der Bezeichnung Valencianisch) und Balearische Inseln. Im Zwergstaat Andorra ist es alleinige Amtssprache. Darüber hinaus wird katalanisch in einigen Gebieten der Autonomen Regionen Aragonien und Murcia, in der Stadt Alghero auf Sardinien (Italien) sowie im französischen Département Pyrénées-Orientales, dem historischen Nordkatalonien gesprochen. Insgesamt gibt es rund 9 Millionen Sprecher des Katalanischen, ca. 11 Millionen Menschen verstehen die Sprache. In Europa liegt Katalanisch damit an neunter Stelle, noch vor Portugiesisch, Schwedisch oder Dänisch.

„¡Habla en cristiano!“ – „Sprich christlich = spanisch!“ Während der Franco-Diktatur zwischen 1939 und 1975 war der Gebrauch der katalanischen Sprache in Spanien unter Strafe verboten. Katalanisch wurde systematisch verbannt. Erst mit Einführung der Demokratie wurde in der Verfassung von 1978 die Mehrsprachigkeit Spaniens anerkannt. Mit den jeweiligen Autonomiestatuten wurde Katalanisch schließlich als Amtssprache neben Spanisch verankert; zunächst 1979 in Katalonien, danach 1982 in der Region Valencia und 1983 auf den Balearen.

So weit die Theorie – doch wie sieht die Realität aus?

Anfang März 2015 muss der ehemalige Präsident des FC Barcelona Joan Laporta vor einem Gericht in Barcelona zum Fall MCM gegen den FC Barcelona aussagen. Es geht um die kommerzielle Nutzung der Fassade des Clubhauses La Masia. Der Anwalt von MCM Mario Conde versteht jedoch kein Katalanisch. Als der Richter die katalanischen Erklärungen aussetzt und Laporta gebeten wird, seine Aussage auf Spanisch zu machen, reagiert dieser empört. Laporta besteht auf seinem Recht, sich in seiner Muttersprache zu äußern. Es kommt zu einer Diskussion. Ein Ausschnitt dieses Wortwechsels wurde in einem am 2. März 2015 vom katalanischen Fernsehsender TV 3 veröffentlichten Video festgehalten. Da kein Übersetzer anwesend ist, soll die Anhörung zunächst verschoben werden. Schließlich einigt man sich auf einen Kompromiss: Die Befragung wird auf Spanisch fortgesetzt, doch Laporta darf seine Erklärung auf Katalanisch abgeben. Weniger prominente Katalanen werden in einer vergleichbaren Situation in aller Regel aus Angst vor Repressalien widerspruchslos auf ihr Recht verzichten und zu Spanisch wechseln.

Eine Gruppe Touristen aus Katalonien hat eine Besichtigungstour durch Barcelona gebucht. Der einheimische Fremdenführer beginnt seine Erläuterungen wie gewohnt auf Katalanisch. Innerhalb der dreißigköpfigen Gruppe gibt es jedoch einen Teilnehmer, der, obwohl ebenfalls wohnhaft in Katalonien, kein Katalanisch versteht. Er fordert einen Sprachwechsel. Da nahezu 100% aller Katalanen bilingual aufgewachsen sind, wird grundsätzlich und ausnahmslos erwartet, dass diese sich unterordnen und sprachlich anpassen. Die Tour wird daher auf Spanisch fortgesetzt und 29 Teilnehmer verzichten auf das Recht in ihrer Muttersprache zu kommunizieren.

Laut Autonomiestatut hat in Katalonien jeder Einzelne das Recht auf freie Wahl der Sprache. Niemand darf aufgrund der verwendeten Sprache diskriminiert werden. Katalanisch ist „Llengua pròpia“, die historisch etablierte Muttersprache Kataloniens und Sprache des alltäglichen Gebrauchs.

Vorfälle der genannten Art sind jedoch keine Einzelfälle. Die Nichtregierungsorganisation La Plataforma per la Llengua engagiert sich für die Förderung der katalanischen Sprache und die Garantie der sprachlichen Rechte in den katalanischsprachigen Gebieten Europas. Sie dokumentiert und veröffentlicht regelmäßig Berichte zu Fällen sprachlicher Diskriminierung. In einer Publikation aus dem Jahr 2013 werden 40 schwerwiegende Vergehen detailliert erläutert. Diese reichen von verbalen Beleidigungen und Herabsetzungen über die Zahlung von Geldstrafen, Verhaftungen und kurzzeitigen Gefängnisaufenthalten bis hin zu körperlicher Gewaltanwendung. Besonders paradox: In der Mehrzahl der Fälle fanden diese Diskriminierungen durch Beamte der Guardia Civil oder des Cuerpo Nacional de Policia statt; staatliche Sicherheitskräfte, deren grundlegende Aufgabe es ist, die freie Ausübung der bürgerlichen Rechte und die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten.

Damit wird deutlich, dass die sprachlichen Rechte der katalanischen Bevölkerung nicht garantiert sind. Die Verwendung des Katalanischen in der Öffentlichkeit birgt das Risiko der sprachlichen Diskriminierung.

Katalonien ohne Spanischkenntnisse – aus deutscher Sicht

Cadaquès, malerisches Dorf an der Küste Kataloniens. Ich möchte ein Baguette kaufen. „Katalanisch! Warum sprichst Du Katalanisch?“ So die abwertende Reaktion der Verkäuferin: „Das ist Spanien, hier musst Du Spanisch sprechen!“ Was folgt ist ein wütender Wortschwall, indem sie über die katalanische Sprache und die Unabhängigkeitsbestrebungen der Katalanen herzieht. Katalanophobie par excellence. Vielleicht ist es ganz gut, dass ich aufgrund meiner mangelnden Spanischkenntnisse nicht jedes Detail verstehe… und mit „Spanisch ist überall auf der Welt verbreitet und eine sinnvolle Sprache – Lerne Spanisch!“ fordert sie mich schließlich aggressiv auf, einige Worte auf Spanisch zu wiederholen.

Recht auf freie Wahl der Sprache? Eine solch heftige Reaktion habe ich persönlich zwar bisher nur dieses eine Mal erlebt, doch subtilere Formen der sprachlichen Diskriminierung kenne ich zur Genüge. Sie sind in Katalonien an der Tagesordnung:

Ich sehe meine Wahlfreiheit deutlich eingeschränkt, wenn das diensthabende Personal am zentralen Informationsschalter der Metro am Plaça de Catalunya in Barcelona ausschließlich Spanisch spricht; oder die Dame an der Information des Flughafens Barcelona – el Prat. Wiederholt antwortet sie mir auf Spanisch, ungerührt und beharrlich. In beiden Fällen werde ich zudem mit herabsetzenden Blicken gewürdigt.

Wie fühlt man sich als Einheimischer, der vergleichbaren Situation regelmäßig ausgesetzt ist?

Die bilingualen Katalanen können natürlich ausweichen. Mit welch selbstverständlicher Flexibilität sie bisweilen zwischen den Sprachen hin- und her springen dürfte ihnen selbst kaum bewusst sein. Alltag in Katalonien. Während meine beiden Nachbarn also munter zwischen den Sprachen wechseln, je nachdem, ob sie sich untereinander oder mit der Bedienung unterhalten, blicke ich leicht ratlos auf die spanische Speisekarte in meiner Hand. Immerhin: die Bedienung der gut besuchten Bar in der Innenstadt Barcelonas ist zuvorkommend und dank einer englischen Speisekarte bleiben mir schließlich kulinarische Überraschungen erspart. Hätte ich eine Wahl gehabt, hätte ich jedoch lieber meine Katalanischkenntnisse angewandt.

Sprache als Identitätsstifter – Der Wunsch nach Unabhängigkeit

Was wäre, wenn Katalanisch in Katalonien gleichberechtigte Sprache wäre? Die sprachlichen Rechte der Bürger Kataloniens sind sowohl durch die spanische Verfassung und das Autonomiestatut als auch durch die von Spanien unterzeichnete und ratifizierte Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen garantiert. Was wäre, wenn die „Llengua pròpia“ auch in der gelebten Realität, auch im Bewusstsein der Menschen, der Katalanen und der Spanier, gleichwertig dem Spanischen wäre? Wenn die Katalanen die eigene Muttersprache immer und überall selbstbewusst anwenden könnten, ohne Demütigungen oder Diskriminierungen befürchten zu müssen?

Eine Diskussion wie im Falle der Befragung von Laporta wäre sicher obsolet; ein Dolmetscher wäre grundsätzlich verfügbar und sofort einsetzbar. Die Reisegruppe würde sich vermutlich demokratisch auf eine Sprache einigen und der Minderheit sprachlich unterstützend zur Seite stehen. Ich wäre keinen herabsetzenden Blicken oder Bemerkungen ausgesetzt, wenn ich Katalanisch statt Spanisch spreche. Bars und Restaurants hätten neben der spanischen auch eine katalanische Version der Speisekarte.

Doch die Realität zeichnet ein anderes Bild. In der Realität gibt es keine Gleichberechtigung; werden die beiden offiziellen Amtssprachen vielfach ungleichwertig behandelt. Denn im Gegensatz zur Schweiz mit seinen vier Sprachen und der propagierten Mehrsprachigkeit sieht sich Spanien als einsprachiges Land. Tatsächlich wird die katalanische Sprache in zunehmendem Maße degradiert. Seit der ersten Verabschiedung des Autonomiestatuts 1979 wurde die Bedeutung des Katalanischen auch rechtlich herabgesetzt und La Plataforma per la Llengua verzeichnet eine stetige Zunahme sprachlicher Diskriminierungen bei Verwendung des Katalanischen im Alltag und im Umgang mit Behörden.

Weiterhin hat sich die spanische Zentralregierung bisher beharrlich geweigert, Katalanisch als offizielle Amtssprache der EU zu fordern. Es gibt daher keine andere Sprache in Europa, die so viele Sprecher wie das Katalanische hat und keine offizielle Amtssprache der EU ist.

Die Sprache ist jedoch ein wichtiges Element der kulturellen Identität. Identität definiert sich durch die Unterscheidung von Anderen und die eigene Sprache spielt hier eine entscheidende Rolle. Sie dient als Schlüssel zur Aufnahme in eine Gemeinschaft. Eine wachsende Mehrheit der Katalanen sieht sich angesichts der derzeitigen sprachlichen Entwicklung in ihrer kulturellen Identität bedroht. Die Abspaltung von Spanien und die staatliche Unabhängigkeit scheint der einzige Ausweg, die eigene Identität und Kultur zu garantieren. Denn als unabhängiger Staat hätten die Katalanen hinsichtlich ihrer Sprache die gleichen Rechte wie die anderen Staaten Europas und Katalanisch könnte auch in der Realität gleichberechtigt und anerkannt sein – sowohl in Katalonien als auch in Europa.

Daniela Strauß

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2 thoughts on “Sprache sucht Staat: Katalanisch – Identität ohne Anerkennung von Daniela Strauß

  1. Hola Daniela,
    moltes gràcies 🙂
    Ich habe 1,5 Jahre in Katalonien gelebt und konnte damals weder Spanisch noch Katalanisch. Für mich war aber sofort klar: Wenn ich mit den Menschen in Kontakt kommen möchte, dann lerne ich Katalanisch.

    Die Reaktionen waren oft genial:
    Verkäuferinnen, die vor Freude ihre Kolleginnen gerufen haben, weil ich da eine Deutsche ist, die kein Spanisch, aber Katalanisch spricht.

    Nachdem es den Katalanen so viele Jahre verboten war, ihre Sprache zu sprechen, kann ich die aktuelle Situation völlig nachvollziehen. Sie wollen ihre Identität zurück!

    Ich persönlich mag das Katalanische sehr gerne und tue mich aktuell damit schwer, Spanisch zu lernen. Da wir aber in drei Wochen wieder dort leben werden – komme ich nicht drum herum …

    molts salutacions
    Nima

  2. Ein anderes, sehr typisches Beispiel der sprachlichen Unterdrückung sind anscheinend die Universitäten. Habe selber zwar nicht in Katalonien studiert, aber doch von vielen gehört, dass sich Situationen häufen, in denen – ähnlich wie bei der Touristengruppe – die Unterrichtssprache eines ganzen Faches / Vorlesung auf Spanisch umgeschaltet werden muss wegen oft nur einem oder zwei Studenten (oft Erasmus), und zwar auch dann, wenn im Studienprogramm dieses konkrete Fach als „auf Katalanisch unterrichtet / vorgelesen“ angeboten wird. Vor allem diejenigen katalanischen Studenten, die sich bei der Anmeldung nach der Sprache richteten, sind dann natürlich die Leidtragenden, denen oft auch noch mangelnde Solidarität vorgeworfen wird.

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