Facebook Twitter Instagram YouTube Flickr

Gegendarstellung der deutschen Autorin und Übersetzerin Krystyna Schreiber zu einem Artikel des spanischen Gelehrten Fernando Savater in der „Welt“

Von Krystyna Schreiber

Autorin

Veröffenlicht in der Online Tageszeitung ARENA http://www.arena-info.com/arena/newsdetails/datum/2016/06/02/gegendarstellung-gegendarstellung-der-deutschen-autorin-und-uebersetzerin-krystyna-schreiber-zu-ei/

 

Donnerstag 02. Juni 2016

Der Artikel von Herrn Fernando Savater, der am 14. März in der Welt erschien, stellt die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien so dar, als ob es sich um eine Bewegung handle, die Europa und seine Werte bedrohe. Als deutsche Autorin, die schon längere Zeit die Ereignisse in Katalonien vor Ort mitverfolgt und dem Thema verschiedene Bücher und Artikel gewidmet hat, möchte ich dieser Vision einige Fakten gegenüberstellen.

 

Die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien ist eine basisdemokratische Bewegung, die die Diversität der katalanischen Gesellschaft reflektiert: Die Unabhängigkeitsbefürworter sind unterschiedlicher Herkunft, gehören allen sozialen Schichten an und werden von einem breiten Kreis von Parteien unterstützt – von der antikapitalistischen CUP über die Linksrepublikaner bis hin zu den liberalen Nationalisten der Konvergenzpartei.

Der katalanische Nationalismus war nie ethnisch, sondern sprachlich-kulturell. Katalonien ist stets ein Einwanderungsland gewesen, ob für Menschen aus Dritte-Welt-Ländern oder im Rahmen massiver Einwanderungswellen aus anderen Gebieten Spaniens, was den hohen Anteil der spanischsprachigen Bevölkerung in Katalonien erklärt. Allein in den letzten zehn Jahren ist Katalonien Heimat für mehr als eine Million Menschen aus anderen Ländern geworden, davon stammten 15 Prozent aus Nicht-EU-Ländern. Diese starke Einwanderung hat dazu geführt, dass insgesamt 70 Prozent der katalanischen Bürger nicht katalanischer Abstammung sind. Trotzdem unterstützen rund 48% Prozent der Bevölkerung die Unabhängigkeit, wie sich in den letzten Regionalwahlen gezeigt hat (weitere 8,9 Prozent sprachen sich für ein Selbstbestimmungsreferendum aus und 39 Prozent gegen die Unabhängigkeit).

Zudem haben die Unabhängigkeitsbefürworter sowohl auf institutioneller Ebene wie auch seitens der verschiedenen Bürgerinitiativen immer wieder den proeuropäischen Charakter der Bewegung unterstrichen. Und vor Kurzem hat die katalanische Regierung der Europäischen Kommission angeboten, mehrere tausend Flüchtlinge aufzunehmen. So kann man also recht schnell erkennen, dass die Unabhängigkeitsbewegung in Katalonien nicht auf einen klassischen, ausgrenzenden oder sogar europafeindlichen Nationalismus zurückzuführen ist.

 

Auf der anderen Seite macht Spanien in seiner Verfassung die Beherrschung der kastilischen Sprache zur Pflicht (Art. 3). Nur in einigen Regionen sind auch „die anderen Sprachen Spaniens“ (Katalanisch, Baskisch und Galizisch) offiziell, ihr Gebrauch ist ein Recht, ihre Beherrschung aber keine Pflicht. Sie werden vom Staat nicht als gleichwertig angesehen. Drei von vielen Beispielen machen diese Haltung des spanischen Staates deutlich: die geringe Projektion im Ausland der katalanischen Sprache durch das Institut Cervantes, das mit öffentlichen Geldern – auch der Katalanen – finanziert wird, die konstante Weigerung Spaniens, Katalanisch als eine Sprache der Europäischen Union vorzuschlagen, obwohl sie die am neunthäufigsten gesprochene Sprache der EU ist, sowie die Tatsache, dass im spanischen Kongress nicht auf Katalanisch gesprochen werden darf, obwohl es das Abgeordnetenhaus aller Bürger Spaniens ist, auch der katalanischen. Dieser Umstand hat zudem zur Folge, dass der Großteil der Spanier einsprachig lebt; zweisprachig sind nur die Minderheiten. Der Großteil der spanischen Bevölkerung nimmt diese Diversität gar nicht wahr. Fazit: Wenn also Identitätsmerkmale wie die Sprache einen Einfluss auf die Unabhängigkeitsbewegung haben, liegt es nicht an einem nach innen gekehrten, antieuropäischen Regionalismus, sondern daran, dass es der spanische Staat versäumt hat, seiner eigenen kulturellen Diversität gerecht zu werden.

 

Savater behauptet, die Unabhängigkeitsbefürworter würden sagen, dass es die Territorien sind, die über die politische Zugehörigkeit entscheiden und nicht die Individuen. Niemand behauptet, dass Berge, Wälder oder Flüsse darüber entscheiden können, ob Katalonien ein neuer Staat in Europa sein soll oder nicht. Diese Entscheidung sollten die Individuen, die in Katalonien leben, treffen. Wenn jemand aus einem Kreis austreten will, dann sollte diese Entscheidung an erster Stelle bei dem Betroffenen liegen. Was würde denn geschehen, wenn plötzlich der Rest Spaniens in einem Referendum der Unabhängigkeit Kataloniens zustimmt, aber die Bürger Kataloniens dagegen – müsste Katalonien dann unabhängig werden?

 

Eine weiteres Argument von Savater ist, dass die Unabhängigkeitsbefürworter mittels eines Referendums feststellen wollten, wer Katalane ist und wer nicht. Um zu prüfen, welchen Wahrheitsgehalt diese Aussage hat, können wir das vom Verfassungsgericht ausgesetzte katalanische Dekret zur Volksbefragung vom 9. November 2014 heranziehen: Welche Voraussetzungen mussten die Bürger erfüllen, um an der Befragung teilzunehmen? Die Kriterien waren weder der Geburtsort, noch die Sprache, sondern ein fester Wohnsitz in Katalonien und ein Mindestalter von 16 Jahren.

 

Letztendlich ist die katalanische Unabhängigkeitsbewegung die basisdemokratische Antwort eines Großteils der Bürger Kataloniens auf eine gescheiterte Zentral- und Sozialpolitik des spanischen Staates, der seiner Aufgabe, als Vielvölkerstaat auch der Staat aller Völker zu sein, die ihn bilden, nicht gerecht wird. Dieser politische Konflikt kann nur mittels Dialog und Kompromissen, die für alle Akteure eine Win-win-Situation bedeuten, gelöst werden und nicht durch die Justiz.

 

Die Bildung neuer Staaten ist zudem keine Neuheit. Dabei haben alle Staaten ihre eigene Entstehungsgeschichte. Oft entstanden sie in einem gewaltsamen Kontext. Aber warum sollte ein neuer Staat, der einem basisdemokratischen und friedlichen Kontext entspringt, im Europa des 21. Jahrhunderts weniger Akzeptanz finden als solche Staaten? Wenn der politische Kontext bei der Entstehung einer Katalanischen Republik Frieden, Demokratie, Solidarität und die Bereitschaft sind, einen besseren Staat in Europa aufzubauen für alle seine Bewohner, der solidarisch ist mit seinen Nachbarn und insbesondere mit seinem Mutterstaat Spanien, dann könnte die Schaffung eines solchen Staates eine Stärkung dieser europäischen Werte und damit Europas bedeuten.

Sicher ist, dass die Blockade eines demokratischen Wegs, auf dem mehrere Millionen europäischer Bürger in Katalonien über ihre politische Zukunft frei entscheiden können, sich nur negativ auswirken kann und die Schwächung des europäischen Projekts nach sich ziehen würde.

 

 

 

Teilen

Leave a Reply

Your email address will not be published.Required fields are marked *