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Rajoys Sturheit treibt Katalonien weg von Spanien

Trennung nach 300 Jahren? 1714 wurde Katalonien nach einer vernichtenden Niederlage endgültig spanisch. Die Unabhängigkeitsbewegung feiert das Jubiläum in der Hoffnung, es nicht mehr feiern zu müssen

 

Dass der 11. September ein trauriges Datum ist, weiß man in Katalonien seit 300 Jahren. Es war der Tag, an dem Barcelona kapitulierte, nach monatelanger Belagerung durch kastilische und französische Truppen. Damit endete der spanische Erbfolgekrieg, und damit verlor Katalonien, im Mittelalter noch Zentrum eines mediterranen Imperiums, die letzten Reste an staatlicher Eigenständigkeit. Seither hat Spanien seine heutigen Grenzen; seither gilt Katalonien als Teil Spaniens.

Und weil der Katalanismus ein Masochismus ist, behandelt er die Zahl 1714 als Fetisch: Sei es, dass die Fans des FC Barcelona bei jedem Heimspiel in Minute 17, Sekunde 14, „Independència!“ skandieren oder dass der Mast für eine neue offizielle Senyera, die katalanische Flagge, genau 1714 Zentimeter lang ist. Und ausgerechnet das Datum der größten historischen Niederlage wird als Diadabegangen, als Nationalfeiertag. Im Zeichen des schmerzlichen Gedenkens zelebriert man die Hoffnung, dass Katalonien irgendwann doch wieder ein eigener Staat wird.

V wie Volksabstimmung

Dieses Ziel scheint nun vielen zum Greifen nah. In den letzten Jahren hat die Unabhängigkeitsbewegung zwischen Pyrenäen und Ebrodelta beispiellosen Zulauf erfahren. Sie strebt ein Referendum an, so wie in Schottland, doch anders als die schottischen Aktivisten beißen die katalanischen bei der Regierung des Zentralstaats nach wie vor auf Granit. Obwohl – oder gerade weil – im katalanischen Regionalparlament mittlerweile eine 80-Prozent-Mehrheit für das Referendum steht, will Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy eine Abstimmung über den Verbleib Kataloniens auf keinen Fall zulassen.

Umso größere Bedeutung kommt den Massenkundgebungen zur Diada zu, mit denen die Independentistes ihren Rückhalt in der katalanischen Bevölkerung demonstrieren wollen. Die 300-Jahr-Feier soll das entscheidende Fanal im Kampf für die „Selbstbestimmung“ setzen, und zwar in Gestalt eines gigantischen V – wie via (Weg), voluntat (Wille), votar (wählen) oder auch victòria(Sieg). Eine Millionen Menschen, so hoffen die Organisatoren, werden in den Straßen Barcelonas gemeinsam dieses V bilden. Dabei tragen alle entweder gelbe oder rote T-Shirts und ordnen sich so an, dass das Riesenzeichen auf den Luftbildern die Streifen der Senyera trägt. Hinter dem Spektakel steht keine politische Partei, sondern eine Bürgerinitiative, die sich Assemblea Nacional Catalana nennt, Katalanische Nationalversammlung, abgekürzt ANC.

Szenen einer Zwangsehe

Inkrafttreten des Autonomiestatuts schon als erledigt betrachtet hatte.Auslöser für deren Gründung war ein Urteil des spanischen Verfassungsgerichts vom Sommer 2010. Mehrere Abgeordnete von Rajoys rechtsgerichteter Partei PP hatten gegen das neue katalanische Autonomiestatut geklagt, das vom spanischen Parlament bereits abgesegnet war. Das Tribunal, eigentlich nicht beschlussfähig, weil drei der zwölf Richter die Pensionsgrenze überschritten hatten und ein vierter verstorben war, kassierte Teile des Statuts ein und trat damit in Katalonien eine Lawine der Empörung los. War die Unabhängigkeitsbewegung bis dahin stets eine laute Minderheit gewesen, so erschien ihre Vision nun auch in gemäßigten Kreisen als einziger Ausweg aus der zerrütteten „Zwangsehe“ mit Spanien. Erst recht, nachdem die PP Ende 2011 die Regierung in Madrid übernehmen konnte. „Seit sie wieder an der Macht ist, produziert sie bei uns laufend neue Independentistes„, sagt der Philosophieprofessor Josep Maria Terricabras, der das Projekt eigener Staat mit dem

Tatsächlich unternimmt Madrid nichts, um die katalanische Wut zu besänftigen. Sei es eine größere fiskalische Eigenständigkeit Kataloniens oder eine Reform des stramm zentralistischen spanischen Staatsmodells: Jeder Kompromissvorschlag aus Barcelona wird abgeblockt. Stattdessen fordern Rajoys Minister eine „Hispanisierung der katalanischen Kinder“, wie einst unter Franco.

Und die Katalanen, organisiert von der ANC, gehen geduldig ein ums andere Mal auf die Straße. Zur Diada 2012 hielten 1,5 Millionen Demonstranten die „grüne Karte für den Staat Katalonien“ hoch; dabei trat auch der heutige FC-Bayern-Trainer Pep Guardiola erstmals als Galionsfigur des Independentisme in Erscheinung. Letztes Jahr folgte die „Via Catalana“, eine Menschenkette durch ganz Katalonien. Und nun soll das V den endgültigen Durchbruch zum Referendum bringen.

Denkmalsturz als Chance

Oder zerschlägt sich die Unabhängigkeitsbewegung gerade an einem Politskandal? Rajoys Widerpart in Barcelona heißt Artur Mas und hat zwei Probleme. Das geringere ist, dass er als katalanischer Ministerpräsident über keine eigene Parlamentsmehrheit verfügt. Stattdessen regiert seine bürgerliche CiU mit Duldung der Republikanischen Linken(ERC), die schon immer auf den Abschied von Spanien hinarbeitet. Basis für das Zweckbündnis ist allein das Referendum. Knickt Mas ein und verzichtet a uf die Volksabstimmung, kann er nicht weiterregieren.

Womit wir bei seinem größeren Problem wären. Es kommt aus seiner eigenen Partei, heißt Jordi Pujol und war 23 Jahre lang katalanischer Ministerpräsident. Pujol galt als Vaterfigur des politischen Katalanismus, bis vor Kurzem aufflog, dass er ein Vermögen auf dubiosen Auslandskonten hortet. In Madrid reibt man sich die Hände, und viele ausländische Spanien-Idyllisierer sind unverhohlen erleichtert über diesen Denkmalsturz.

Die Leute haben Folklore satt

Vielleicht freuen sie sich zu früh. Auch wenn Pujol sich im Greisenalter zum glühenden Independentista gewandelt zeigt: Er verkörpert eine andere Zeit. Als er im Amt war, stellte er den Verbleib bei Spanien nie infrage, am Ende paktierte er sogar mit der PP. „Die Kontenaffäre schwächt seine Partei, aber nicht die Unabhängigkeitsbewegung“, so schätzt die Journalistin Gemma Terés die Stimmung zur Diada ein. Zugleich bezweifelt sie, dass das V ein ebensolcher Erfolg wird wie die Kampagnen der letzten Jahre: „Die Leute haben es satt, Folklore zu machen. Sie wollen wirklich abstimmen.“

In allen Umfragen hat die linksnationalistische ERC die Bürgerlichen längst überflügelt. Bei Neuwahlen könnte sie gemeinsam mit kleineren linken Fraktionen auf ein solides Mandat hoffen. Eine solche Regierung aber würde, wenn Rajoy bei seinem Nein zum Referendum bliebe, nicht mehr verhandeln, sondern einseitig die Unabhängigkeit Kataloniens ausrufen. Damit hätte sich der spanisch-katalanische Konflikt zur Staatskrise ausgewachsen. Es liegt also durchaus im Interesse Madrids, vorgezogene Neuwahlen in Katalonien zu verhindern. Auf diesem Umweg erhöht der Fall Pujol sogar die Chancen, dass das Referendum, wie von den Aktivisten geplant, noch in diesem Jahr abgehalten wird.

Föderalistische Neuordnung überfällig

Selbst wenn dann eine deutliche Mehrheit für die Loslösung von Spanien stimmen würde, wäre die Scheidung nur beantragt, nicht vollzogen. Das Votum der Katalanen könnte endlich den Weg frei machen für die überfällige föderalistische Neuordnung des spanischen Staates, die bisher an der Blockadehaltung der PP scheitert.

Michael Ebmeyer, geboren 1973, ist Autor der Romane „Der Neuling“ und „Landungen“. Er hat auch eine „Gebrauchsanweisung für Katalonien“ verfasst.

 

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